Der Jugendstil unterhalb des Hl.-Kreuzberges
Standort - Jeseniova ulice (Jessenius-Straße), Ecke gegenüber der Kirche St. Anna
Der Jugendstil prägte Žižkov durch mehrere bedeutende Bauwerke, zu denen unter anderem die Mietshäuser in der Hussitenstraße (Husitská ulice) oder das Volkshaus (Hotel Theatrino) in der Straße Bořivojova ulice gehören. Allerdings ist die von Plattenbauten umgebene Kirche St. Anna mit dem ehemaligen Kloster der Karmeliten eine sakrale Perle des Jugendstils nicht nur der Gemeinde Žižkov, sondern ganz Prags. Sie stellt ein bemerkenswertes Bauwerk der Zeit des späten Jugendstils mit zahlreichen, bereits neuen geometrischen Zügen und Elementen der sog. Beuroner Kunstschule dar. Errichtet wurde sie nach einem Projekt des Architekten Eduard Sochor, geweiht wurde sie am 8. Oktober 1911. Im Jahre 1916 wurde bei der Kirche das Kloster der Karmeliten gegründet, wobei das eigentliche Gebäude des Klosterhauses (Nr. 1268) im selben Jahr nach Plänen des Baumeisters Antonín Procházka entstand. Das Kloster wurde nach kurzer Zeit im Jahre 1922 aufgelöst. Das Ordenshaus wurde im Jahre 1923 in das Gebäude der Pfarre umgewandelt, während die ehemaligen Klosterräumlichkeiten zu Wohnungen adaptiert wurden. Die Kirche ist gemeinsam mit dem anliegenden Kloster seit dem Jahre 2002 als Kulturdenkmal geschützt. Sie ist nicht klassisch orientiert und ist mit der Front gegen Osten zur Tovačovský-Straße (Tovačovského ulice) gewandt, während sich das Presbyterium auf der westlichen Seite befindet. Über dem Zeltdach ragt nahe der Stirnwand ein kleines Glockentürmchen empor. Die innere Gliederung des Kirchenschiffes wird durch bemerkenswerte Wandmalereien überwiegend dekorativen Charakters abgerundet, die an die Beuroner Malerschule des Emmausklosters anknüpfen. Die eigentliche Ausstattung der Kirche ist vom Stil her unterschiedlich. Aus der Zeit der Entstehung stammt der Altar des hl. Josef, andere Elemente wurden aus anderen, älteren bzw. nicht mehr existierenden Kirchenobjekten hierhergebracht. Zu den wertvollsten gehören im linken Seitenschiff der frühbarocke Altar der hl. Anna aus der Zeit um 1700, der Predigerstuhl aus der Mitte des 18. Jahrhunderts sowie weitere Elemente des Mobiliars, einschließlich der barocken Bänke. In der Kirche, auf den Emporen, befinden sich zugleich mehrere Bilder vom Beginn des 18. Jahrhunderts, unter anderem aus dem weiteren Umkreis des berühmten tschechischen Barockmalers Karel Škréta (1610-1674). Die Kirche ist heute gänzlich von einer Plattenbebauung umgeben, wobei sie als eines der wenigen Bauwerke der Stadtsanierung der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts widerstand. Es handelt sich um eine Filialkirche des römisch-katholischen Pfarrsprengels bei der Kirche des hl. Prokop.
Von der Seite der Kirche ist die gegenüberliegende Bebauung am Fuße des Hl.-Kreuzberges gut zu sehen, der auch Parukářka genannt wurde, und zwar nach dem gleichnamigen, nicht mehr existierenden Gehöft Nr. 39, das sich in unmittelbarer Nähe der Jessenius-Straße (Jeseniova ulice) befand. Im Jahre 1825 errichtete hier die Firma Sellier & Bellot eine Manufaktur und später eine Fabrik für Zündhütchen und Munition, die über viele Jahre das größte Žižkover Industrieunternehmen und eines der bedeutendsten Industriegelände auf dem Gebiet des heutigen Stadtteils Prag 3 war. Der Ort war ursprünglich wegen seiner Abgeschiedenheit von der damaligen Bebauung ausgewählt worden. Die gefährlichen Bereiche der Produktion, die sog. „Ládovny“ (=Laderäume) wurden in das Souterrain verlegt. Die im Volksmund „Kapslovna“ (Kapselfabrik) genannte Fabrik stellte zunächst Zündhütchen für Jagdpatronen, später für Militärmunition her, ab dem Jahre 1827 wurden hier Zündmittel aus weißem Schießpulver und ab dem Jahre 1871 Zündkapseln für die neu errichteten „Dynamit-Fabriken vorm. Alfred Nobel & Company“ in Prag-Bohnice, bzw. ab dem Jahre 1890 für die Munitionsfabrik der Firma ŠKODA in Pilsen-Bolevec produziert. Zum Ende des 19. Jahrhunderts absolvierte die Fabrik umfangreiche Umbau- und Modernisierungsmaßnahmen. Es wurden moderne Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, die explosionsgefährdeten Objekte in Erdwälle verlegt. Die Produktion der Fabrik war imposant, es wurden jährlich bis zu 60 Millionen Zündkapseln hergestellt, die insbesondere für österreichische Monarchie bestimmt waren. Die weitere Entwicklung der Fabrik wurde durch die sich ausdehnende Bebauung mit Wohnhäusern verhindert, die bis in die unmittelbare Nähe zur „Kapselfabrik“ heranrückte. Daher wurde die Produktion nach mehreren gefährlichen Explosionen nach Vlašim (Wlaschim) verlegt. Heute erinnern an die einst berühmte Fabrik der erhalten gebliebene Schornstein zwischen der neuzeitlichen Bebauung sowie die Bezeichnung der Sportgemeinschaft des Biathlon-Clubs „Kapslovna“. Im verlassenen Areal entstand zunächst eine Reparaturwerkstatt für Motorräder, später für Personenkraftwagen. Heute haben auf ehemaligen Fabrikgelände verschiedene, kleinere Firmen ihren Sitz, wobei einige Teile in Wohnungen umgewandelt wurden. An der Straßenecke Jeseniova 53 und Koldínova 1 befindet sich noch ein Objekt in Verbindung mit der ehemaligen Kapselfabrik, und zwar das Firmengebäude der Waffenfabrik Sellier & Bellot aus dem Jahre 1925. Die Fassade ist im Stil Art déco mit markant gegliederten, polygonalen Erkern gestaltet. Der Autor des Projektes ist zwar unbekannt, jedoch wurde der Bau durch die seinerzeit größte Prager Baufirma Václav Nekvasil realisiert.